North Sea Jazz Festival 2015 – Auf Erfolg abonniert

Das Port of Rotterdam North Sea Jazz Festival bewegt sich von einem Erfolg zum nächsten. Dieses Jahr waren die Tickets schon zwei Monate vor Festivalbeginn ausverkauft. Das gelang dank eines beachtlichen Aufgebots an Pop-Superstars wie D’Angelo, Mary J. Blige, John Legend und Lionel Richie und insbesondere des gemeinsamen Auftritts von Lady Gaga und Tony Bennett. Das Jazz-Angebot war ebenso stargespickt mit dem Piano-Duo von Herbie Hancock und Chick Corea und vielen Sängern und Sängerinnen wie Jamie Cullum, Melody Gardot oder Lizz Wright.

Lady Gaga begeisterte mit ihrem Feeling für swingende amerikanische Standards. Tony Bennett, mit 89 der letzte der alten Garde der amerikanischen Jazz-Sänger und Entertainer, badete in der Zuneigung seiner jungen Gesangspartnerin und den emotionalen Ovationen der über 10.000 Zuhörer, wobei seine Stimme jedoch deutliche Alterserscheinungen zeigte. Dee Dee Bridgewater zog alle Register als Entertainerin bei ihrem Auftritt mit dem New Orleans Jazz Orchestra. Dessen Leiter, der Trompeter Irvin Mayfield, brillierte mit unterhaltsamen Solos, die Band spielte engagiert auf, doch im Mittelpunkt stand die Diva, die mit „St. James Infirmary“ stehende Ovationen erntete. Dianne Reeves sang ein gefühlvolles Programm, das zum Glück deutlich jazz-näher war als ihre aktuelle CD. Cassandra Wilson kam mit ihrem Programm zum 100-sten Geburtstag von Billie Holiday. Das klang live besser als auf der überproduzierten CD, auch wenn die Sängerin wie immer zu sehr an ihrem manieriert depressiven Stil klebte. Leider hatten die Organisatoren den Auftritt von José James parallel zu Ms. Wilson gelegt, der ebenfalls eine Billie Holiday Tribute CD im Gepäck hatte. Während er auf der CD die klassischen Songs in karger Trio-Besetzung sehr originalgetreu darbietet, geriet das Konzert zu einem inspirierten Triumph mit vielen improvisierten Passagen. James hat seine stimmlichen Fähigkeiten in den letzten Jahren eindrucksvoll verbessert. In Rotterdam sprang er nahtlos und überzeugend von Billie Holiday zum Rap und zurück.

Der diesjährige Artist-in-Residence Han Bennink, humorvoller holländischer Schlagzeugaltmeister, konnte drei Konzerte bestreiten, die sein breites stilistisches Spektrum demonstrierten. Wie Bennink war auch Pianist Randy Weston als einer der Musiker eingeladen, die schon beim ersten North Sea Jazz Festival 1976 dabei gewesen waren. Weston spielte ein blues-getränktes Duo mit Tenorsaxofonist Billy Harper, dessen majestätischer Sound sich bestens mit Weston’s meisterlichen Läufen verband. Der Paul Acket Award ging in diesem Jahr an den armenischen Pianisten und Sänger Tigran Hamasyan, der sich in seinem Trio-Konzert zwischen leicht rockigem Bad Plus Sound und armenischer Folk Music bewegte. Das Original, nämlich die Band The Bad Plus, trat gemeinsam mit Saxofonist Joshua Redman auf, der sich sehr auf diesen Bad Plus Sound einließ und dabei seine eigenen improvisatorischen Stärken vernachlässigte. Einer der besten Sets des Festivals fand nahezu unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt, da die exzellente Band von Schlagzeuger Otis Brown III nur in einem Dinner Konzert auftrat, dieses Konzept der Kombination von Konzert und (überteuertem) Essen von wenigen Festivalbesuchern angenommen wurde. Geboten wurde zeitgenössischer Postbop vom Feinsten, wobei der immer besser werdende Pianist Fabian Almazon und Trompeter Keyon Harrold neben Brown solistisch herausragten. Pianist Vijay Iyer spielte sein Trio-Programm mit Bassist Stephan Crump und Drummer Marcus Gilmore auf Basis seiner aktuellen CD „Break Stuff“ konzentriert und souverän mit fesselnden Solos von allen dreien. Iyer’s früherer langjähriger musikalischer Partner, Altsaxofonist Rudresh Mahanthappa, brachte ein von Charlie Parker inspiriertes Programm mit seinem glänzend besetzten Quintett mit dem Nachwuchstrompeter Adam O’Farrill, Enkel des legendären Latin Jazz Arrangeurs Chico O’Farrill, und dem mitreißenden Bassisten Francois Moutin. Nur Schlagzeuger Rudy Royston übertrieb es etwas mit anhaltendem Powerplay. Diesen Vorwurf musste man auch dem jungen Drummer Justin Faulkner im ansonsten überzeugenden Branford Marsalis Quartet machen. Marsalis, Pianist Joey Calderazzo und Bassist Eric Revis spielten ein inspiriertes Set, aber richtig gut wurde es, als Jack DeJohnette sich für die Zugabe ans Schlagzeug setzte. Der Meister wirkte entspannt und spielfreudig und bewies, dass Musikalität nicht von der Schlagstärke abhängt. Tenorsaxofonist Azar Lawrence beschwor den Geist von John Coltrane höchst eindringlich in einem großartigen Quintett-Set mit dem explosiven Pianisten Benito Gonzalez. Schlagzeuger Billy Hart glänzte energiegeladen, Bassist Cecil McBee verankerte die brodelnde Musik mit wohlgesetzten tiefen Tönen. Der nicht angekündigte Gast, Trompeter Eddie Henderson, brachte zusätzliche Spannung. Das enthusiastische Publikum hielt es nicht auf den Sitzen.

Weitere Höhepunkte lieferten Bands von israelisch-stämmigen Musikern, die allesamt Zeit in New York verbracht haben. Pianist Omer Klein spielte ein inspiriertes Trio-Programm auf Basis seiner aktuellen CD „Fearless Friday“, das Einflüsse der Klassik elegant und mitreißend mit Jazz verband. Trompeter treten angesichts der physischen Anforderungen ihres Instruments selten im Trio auf. Avishai Cohen tut das regelmäßig seit 9 Jahren mit seinem Triveni Trio. Mit Bassist Yoni Zelnik und dem überaus variablen Drummer Nasheet Waits bot er ein abwechslungsreiches Programm mit Eigenkompositionen und Standards. Sein Namensvetter, der Bassist Avishai Cohen, erweiterte sein Trio mit dem exzellenten Pianisten Nitai Hershkovits um drei New Yorker Spitzenmusiker und spielte ein reines Jazz-Programm ohne die volksmusikalische Prägung, die seine letzten CDs hatten. Vor allem der argentinisch-stämmige Trompeter Diego Urcola und Posaunist Steve Davis hatten brilliante solistische Momente. Bassist Omer Avital brachte ein Quintett mit zwei Tenorsaxofonisten nach Rotterdam, Joel Frahm und Greg Tardy, die beide höchst inspiriert und partnerschaftlich zu Werke gingen. Auch Pianist Yonathan Avishai und Schlagzeuger Daniel Freedman konnten in diesem Postbop-Set überzeugen.

Der frühzeitige Ausverkauf der Tickets führte zu mancher Enttäuschung und kräftigen Schwarzmarktpreisen, doch das dürfte die Festivalorganisatoren unter Jan Willem Luyken nicht gestört haben. Sie waren zu Recht stolz auf diese vierzigste Ausgabe des North Sea Jazz Festivals, das abgesehen von Chaka Khans Laryngitis-bedingtem Konzertabbruch sehr rund lief. Die nächste Ausgabe ist vom 8. bis 10. Juli 2016 geplant. Dafür soll der Early Bird Vorverkauf bereits am 20. November 2015 starten. Die Angst der Fans, bei zu langem Abwarten kein Ticket mehr zu bekommen, wird eine Menge Geld noch früher in die Kasse des Veranstalters spülen. Vielleicht ist es ein Trost für die Fans, dass Vorfreude eine bessere Verzinsung darstellt, als die Banken zurzeit zahlen.

Originalveröffentlichung auf:  https://www.hansberndkittlaus.de/north-sea-jazz-festival/nsjf-2015/

Jens Düppe: Anima

Jens Düppe
Anima
Doublemoon
zu beziehen über www.jensdueppe.de

Der Kölner Schlagzeuger Jens Düppe ist seit langer Zeit ein gefragter Sideman in vielen nationalen und internationalen Bands vom Pascal Schumacher Quartet bis zum Cologne Contemporary Jazz Orchestra. In den letzten Jahren wurde er zunehmend als Leader eigener Bands wie auch als Veranstalter der mutigen experimentellen Konzertreihe „Kommunikation 9“ sichtbar. So erscheint es folgerichtig, dass jetzt mit „Anima“ seine Debut-CD unter eigenem Namen herauskommt. Dafür hat er ein Quartett als „Akustik Band“ zusammengestellt. Mit Bassist Christian Ramond und Pianist Lars Duppler bildet Düppe eine gut abgestimmte Rhythmusgruppe, mit Frederik Köster verfügt er über einen der zurzeit besten deutschen Trompeter. Die elf Eigenkompositionen Düppes spannen ein weites Feld auf von Ohrwürmern wie „peanut butter and jelly“, bei dem die Band getrieben von Düppes federndem Rhythmus sogleich alle Register zieht und Duppler ein inspiriertes Solo beisteuert, bis zum introvertiert beginnenden „Magnolia“, das Köster mit schönem Spannungsbogen zu einem dramatischen Höhepunkt bringt. Düppe brilliert in allen seinen Rollen als Bandleader, Drummer, Komponist und Arrangeur, der seine Stücke dramaturgisch clever und gleichzeitig hoch musikalisch gestaltet. So beginnt „Kaa“ introvertiert mit der melodieverliebten Einleitung Dupplers, dann steigert Köster die Gluthitze allmählich über Düppes impressionistischer Perkussion. „toast and salty butter“ schließlich hat wieder eine mitreißende eingängige Melodie, ohne in Trivialität abzufallen. „Anima“ erweist sich als ein starkes Debut, das Lust auf mehr macht.

Hans-Bernd Kittlaus 16.07.15

Nicolas Simion Trio: Romanian Impressions

Nicolas Simion Trio
Romanian Impressions
7dreams 7D-121 (zu beziehen unter 7dreams Records)

Diese CD enthält zwölf abwechslungsreiche Eigenkompositionen Simions, die die Musiksprache Rumäniens aufgreifen und in sehr integrativer Weise mit dem Jazz verbinden. Die ersten fünf nahm Simion im Duo mit dem virtuosen Gitarristen Sorin Romanescu 2009 live in Bukarest auf. Besonders mitreissend geriet „May I Dance?“ mit schnellen Improvisationen der beiden Musiker. Auch „Ciaccona for Chet“ in Erinnerung an Trompeten-Ikone Chet Baker besticht mit eingängiger Melodieführung. Der zweite Teil der CD wurde 2012 in einem Bukarester Studio aufgenommen. Zu Simion und Romanescu gesellte sich dort die renommierte Sängerin Luiza Zan, deren schöne intensive Stimme sich harmonisch mit Nicolas Simions Saxofonklängen verbindet. Sie gibt Simions Kompositionen eine noch stärkere Fundierung in rumänischer Volksmusik, um dann in jazzige Improvisationen abzuheben. Romanescu zeigt sich als famoser Begleiter, während Simion gelungene solistische Gegengewichte zum Gesang liefert, etwa in „East Meets West“. Seine Fähigkeit, seine musikalische Persönlichkeit als Komponist, Arrangeur und Saxofonist in ganz unterschiedliche Situationen einzubringen, begeistert auch hier wieder.

Hans-Bernd Kittlaus 16.07.15