Alle Beiträge von Hans-Bernd Kittlaus

Nicolas Simion Group feat. Lee Konitz & Jancy Körössy: Live in Graz & Brasov

Nicolas Simion Group feat. Lee Konitz & Jancy Körössy
Live in Graz & Brasov
7dreams 7D-115 (zu beziehen unter 7dreams Records)

Jancy Körössy & Nicolas Simion Trio
Sweet Home
7dreams 7D-117 (zu beziehen unter 7dreams Records)

Die vorliegenden Aufnahmen entstanden im Jahre 2001 während einer Tournee, die der Kölner Saxofonist und Komponist Nicolas Simion mit dem Altmeister des rumänischen Jazz, dem Pianisten Jancy Körössy unternahm. Am Bass hatten sie James Singleton dabei, am Schlagzeug Peter Perfido. Für die Konzerte in Graz und Brasov gesellte sich Saxofon-Legende Lee Konitz zu der Band, „Sweet Home“ wurde im Quartett live in Bukarest aufgenommen. Körössy kann hier ein ums andere Mal seine pianistische Klasse demonstrieren, etwa in seiner Komposition „For Oscar“ oder in seinem kunstvoll gestalteten Solo über „You wouldn’t believe“. Simion beeindruckt mit seinem Gestaltungsreichtum, etwa bei seinem abstrakten Einstieg in „One for Kisser“, gefolgt von einer Tour de Force mit osteuropäischen Anklängen, die man auch in seinem Sopransaxofon im Titelsong „Sweet Home“ hört. Die Konzerte mit Konitz sind stärker amerikanisch orientiert. Das gilt für die Songauswahl von amerikanischen Standards und Konitz-Kompositionen, aber auch für den Sound der Band. Konitz leitet „Body and Soul“ mit seinem charakteristischen vibratolosen spröden Altsaxofonton ein, von Körössy mit spärlichen Akkorden begleitet, bevor Simion den majestätischen Sound seines Tenorsaxofons dagegenstellt. Körössy, der Jahrzehnte in USA lebte, fühlt sich hier mit seinem intelligenten Solo ganz zu Hause. Die beiden Saxofonmeister sind auf einer Wellenlänge in ihrer kurzen Duo-Improvisation „Impressions from Brasov“, und in Lee Konitz‘ „Thingin‘“ werfen sie sich über 15 Minuten die solistischen Bälle zu, elegant unterstützt von Körössy und der agilen Rhythmusgruppe. Erfreulich, dass diese Aufnahmen jetzt auf 7dreams verfügbar sind.

Hans-Bernd Kittlaus 28.08.15

North Sea Jazz Festival 2015 – Auf Erfolg abonniert

Das Port of Rotterdam North Sea Jazz Festival bewegt sich von einem Erfolg zum nächsten. Dieses Jahr waren die Tickets schon zwei Monate vor Festivalbeginn ausverkauft. Das gelang dank eines beachtlichen Aufgebots an Pop-Superstars wie D’Angelo, Mary J. Blige, John Legend und Lionel Richie und insbesondere des gemeinsamen Auftritts von Lady Gaga und Tony Bennett. Das Jazz-Angebot war ebenso stargespickt mit dem Piano-Duo von Herbie Hancock und Chick Corea und vielen Sängern und Sängerinnen wie Jamie Cullum, Melody Gardot oder Lizz Wright.

Lady Gaga begeisterte mit ihrem Feeling für swingende amerikanische Standards. Tony Bennett, mit 89 der letzte der alten Garde der amerikanischen Jazz-Sänger und Entertainer, badete in der Zuneigung seiner jungen Gesangspartnerin und den emotionalen Ovationen der über 10.000 Zuhörer, wobei seine Stimme jedoch deutliche Alterserscheinungen zeigte. Dee Dee Bridgewater zog alle Register als Entertainerin bei ihrem Auftritt mit dem New Orleans Jazz Orchestra. Dessen Leiter, der Trompeter Irvin Mayfield, brillierte mit unterhaltsamen Solos, die Band spielte engagiert auf, doch im Mittelpunkt stand die Diva, die mit „St. James Infirmary“ stehende Ovationen erntete. Dianne Reeves sang ein gefühlvolles Programm, das zum Glück deutlich jazz-näher war als ihre aktuelle CD. Cassandra Wilson kam mit ihrem Programm zum 100-sten Geburtstag von Billie Holiday. Das klang live besser als auf der überproduzierten CD, auch wenn die Sängerin wie immer zu sehr an ihrem manieriert depressiven Stil klebte. Leider hatten die Organisatoren den Auftritt von José James parallel zu Ms. Wilson gelegt, der ebenfalls eine Billie Holiday Tribute CD im Gepäck hatte. Während er auf der CD die klassischen Songs in karger Trio-Besetzung sehr originalgetreu darbietet, geriet das Konzert zu einem inspirierten Triumph mit vielen improvisierten Passagen. James hat seine stimmlichen Fähigkeiten in den letzten Jahren eindrucksvoll verbessert. In Rotterdam sprang er nahtlos und überzeugend von Billie Holiday zum Rap und zurück.

Der diesjährige Artist-in-Residence Han Bennink, humorvoller holländischer Schlagzeugaltmeister, konnte drei Konzerte bestreiten, die sein breites stilistisches Spektrum demonstrierten. Wie Bennink war auch Pianist Randy Weston als einer der Musiker eingeladen, die schon beim ersten North Sea Jazz Festival 1976 dabei gewesen waren. Weston spielte ein blues-getränktes Duo mit Tenorsaxofonist Billy Harper, dessen majestätischer Sound sich bestens mit Weston’s meisterlichen Läufen verband. Der Paul Acket Award ging in diesem Jahr an den armenischen Pianisten und Sänger Tigran Hamasyan, der sich in seinem Trio-Konzert zwischen leicht rockigem Bad Plus Sound und armenischer Folk Music bewegte. Das Original, nämlich die Band The Bad Plus, trat gemeinsam mit Saxofonist Joshua Redman auf, der sich sehr auf diesen Bad Plus Sound einließ und dabei seine eigenen improvisatorischen Stärken vernachlässigte. Einer der besten Sets des Festivals fand nahezu unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt, da die exzellente Band von Schlagzeuger Otis Brown III nur in einem Dinner Konzert auftrat, dieses Konzept der Kombination von Konzert und (überteuertem) Essen von wenigen Festivalbesuchern angenommen wurde. Geboten wurde zeitgenössischer Postbop vom Feinsten, wobei der immer besser werdende Pianist Fabian Almazon und Trompeter Keyon Harrold neben Brown solistisch herausragten. Pianist Vijay Iyer spielte sein Trio-Programm mit Bassist Stephan Crump und Drummer Marcus Gilmore auf Basis seiner aktuellen CD „Break Stuff“ konzentriert und souverän mit fesselnden Solos von allen dreien. Iyer’s früherer langjähriger musikalischer Partner, Altsaxofonist Rudresh Mahanthappa, brachte ein von Charlie Parker inspiriertes Programm mit seinem glänzend besetzten Quintett mit dem Nachwuchstrompeter Adam O’Farrill, Enkel des legendären Latin Jazz Arrangeurs Chico O’Farrill, und dem mitreißenden Bassisten Francois Moutin. Nur Schlagzeuger Rudy Royston übertrieb es etwas mit anhaltendem Powerplay. Diesen Vorwurf musste man auch dem jungen Drummer Justin Faulkner im ansonsten überzeugenden Branford Marsalis Quartet machen. Marsalis, Pianist Joey Calderazzo und Bassist Eric Revis spielten ein inspiriertes Set, aber richtig gut wurde es, als Jack DeJohnette sich für die Zugabe ans Schlagzeug setzte. Der Meister wirkte entspannt und spielfreudig und bewies, dass Musikalität nicht von der Schlagstärke abhängt. Tenorsaxofonist Azar Lawrence beschwor den Geist von John Coltrane höchst eindringlich in einem großartigen Quintett-Set mit dem explosiven Pianisten Benito Gonzalez. Schlagzeuger Billy Hart glänzte energiegeladen, Bassist Cecil McBee verankerte die brodelnde Musik mit wohlgesetzten tiefen Tönen. Der nicht angekündigte Gast, Trompeter Eddie Henderson, brachte zusätzliche Spannung. Das enthusiastische Publikum hielt es nicht auf den Sitzen.

Weitere Höhepunkte lieferten Bands von israelisch-stämmigen Musikern, die allesamt Zeit in New York verbracht haben. Pianist Omer Klein spielte ein inspiriertes Trio-Programm auf Basis seiner aktuellen CD „Fearless Friday“, das Einflüsse der Klassik elegant und mitreißend mit Jazz verband. Trompeter treten angesichts der physischen Anforderungen ihres Instruments selten im Trio auf. Avishai Cohen tut das regelmäßig seit 9 Jahren mit seinem Triveni Trio. Mit Bassist Yoni Zelnik und dem überaus variablen Drummer Nasheet Waits bot er ein abwechslungsreiches Programm mit Eigenkompositionen und Standards. Sein Namensvetter, der Bassist Avishai Cohen, erweiterte sein Trio mit dem exzellenten Pianisten Nitai Hershkovits um drei New Yorker Spitzenmusiker und spielte ein reines Jazz-Programm ohne die volksmusikalische Prägung, die seine letzten CDs hatten. Vor allem der argentinisch-stämmige Trompeter Diego Urcola und Posaunist Steve Davis hatten brilliante solistische Momente. Bassist Omer Avital brachte ein Quintett mit zwei Tenorsaxofonisten nach Rotterdam, Joel Frahm und Greg Tardy, die beide höchst inspiriert und partnerschaftlich zu Werke gingen. Auch Pianist Yonathan Avishai und Schlagzeuger Daniel Freedman konnten in diesem Postbop-Set überzeugen.

Der frühzeitige Ausverkauf der Tickets führte zu mancher Enttäuschung und kräftigen Schwarzmarktpreisen, doch das dürfte die Festivalorganisatoren unter Jan Willem Luyken nicht gestört haben. Sie waren zu Recht stolz auf diese vierzigste Ausgabe des North Sea Jazz Festivals, das abgesehen von Chaka Khans Laryngitis-bedingtem Konzertabbruch sehr rund lief. Die nächste Ausgabe ist vom 8. bis 10. Juli 2016 geplant. Dafür soll der Early Bird Vorverkauf bereits am 20. November 2015 starten. Die Angst der Fans, bei zu langem Abwarten kein Ticket mehr zu bekommen, wird eine Menge Geld noch früher in die Kasse des Veranstalters spülen. Vielleicht ist es ein Trost für die Fans, dass Vorfreude eine bessere Verzinsung darstellt, als die Banken zurzeit zahlen.

Originalveröffentlichung auf:  https://www.hansberndkittlaus.de/north-sea-jazz-festival/nsjf-2015/

Jens Düppe: Anima

Jens Düppe
Anima
Doublemoon
zu beziehen über www.jensdueppe.de

Der Kölner Schlagzeuger Jens Düppe ist seit langer Zeit ein gefragter Sideman in vielen nationalen und internationalen Bands vom Pascal Schumacher Quartet bis zum Cologne Contemporary Jazz Orchestra. In den letzten Jahren wurde er zunehmend als Leader eigener Bands wie auch als Veranstalter der mutigen experimentellen Konzertreihe „Kommunikation 9“ sichtbar. So erscheint es folgerichtig, dass jetzt mit „Anima“ seine Debut-CD unter eigenem Namen herauskommt. Dafür hat er ein Quartett als „Akustik Band“ zusammengestellt. Mit Bassist Christian Ramond und Pianist Lars Duppler bildet Düppe eine gut abgestimmte Rhythmusgruppe, mit Frederik Köster verfügt er über einen der zurzeit besten deutschen Trompeter. Die elf Eigenkompositionen Düppes spannen ein weites Feld auf von Ohrwürmern wie „peanut butter and jelly“, bei dem die Band getrieben von Düppes federndem Rhythmus sogleich alle Register zieht und Duppler ein inspiriertes Solo beisteuert, bis zum introvertiert beginnenden „Magnolia“, das Köster mit schönem Spannungsbogen zu einem dramatischen Höhepunkt bringt. Düppe brilliert in allen seinen Rollen als Bandleader, Drummer, Komponist und Arrangeur, der seine Stücke dramaturgisch clever und gleichzeitig hoch musikalisch gestaltet. So beginnt „Kaa“ introvertiert mit der melodieverliebten Einleitung Dupplers, dann steigert Köster die Gluthitze allmählich über Düppes impressionistischer Perkussion. „toast and salty butter“ schließlich hat wieder eine mitreißende eingängige Melodie, ohne in Trivialität abzufallen. „Anima“ erweist sich als ein starkes Debut, das Lust auf mehr macht.

Hans-Bernd Kittlaus 16.07.15

Nicolas Simion Trio: Romanian Impressions

Nicolas Simion Trio
Romanian Impressions
7dreams 7D-121 (zu beziehen unter 7dreams Records)

Diese CD enthält zwölf abwechslungsreiche Eigenkompositionen Simions, die die Musiksprache Rumäniens aufgreifen und in sehr integrativer Weise mit dem Jazz verbinden. Die ersten fünf nahm Simion im Duo mit dem virtuosen Gitarristen Sorin Romanescu 2009 live in Bukarest auf. Besonders mitreissend geriet „May I Dance?“ mit schnellen Improvisationen der beiden Musiker. Auch „Ciaccona for Chet“ in Erinnerung an Trompeten-Ikone Chet Baker besticht mit eingängiger Melodieführung. Der zweite Teil der CD wurde 2012 in einem Bukarester Studio aufgenommen. Zu Simion und Romanescu gesellte sich dort die renommierte Sängerin Luiza Zan, deren schöne intensive Stimme sich harmonisch mit Nicolas Simions Saxofonklängen verbindet. Sie gibt Simions Kompositionen eine noch stärkere Fundierung in rumänischer Volksmusik, um dann in jazzige Improvisationen abzuheben. Romanescu zeigt sich als famoser Begleiter, während Simion gelungene solistische Gegengewichte zum Gesang liefert, etwa in „East Meets West“. Seine Fähigkeit, seine musikalische Persönlichkeit als Komponist, Arrangeur und Saxofonist in ganz unterschiedliche Situationen einzubringen, begeistert auch hier wieder.

Hans-Bernd Kittlaus 16.07.15

Roman Babik Urban Wedding Band: 7479

Roman Babik Urban Wedding Band

7479

Eigenverlag (zu beziehen über www.urbanweddingband.com)

Es gibt in Deutschland eine größere Zahl von Jazz-Musikern mit ost- und südosteuropäischen Wurzeln, die ihre Kenntnisse und ihr Gefühl für osteuropäische Melodien, Harmonien und Rhythmen in den Jazz einbringen. Dazu gehören auch die vier Musiker der Urban Wedding Band, die allesamt schon lange in Deutschland leben oder im Fall von Roman Babik hier geboren wurden und seit 2012 in dieser Band zusammenwirken. Schon ihre erste 2013 erschienene CD „Hit“ ließ aufhorchen. Jetzt legen sie die zweite Scheibe vor genannt „7479“, einem Song-Titel, der laut Babik keinerlei Bedeutung trägt. Dieser Song demonstriert sogleich, dass hier keine weltmusikalische Beliebigkeit regiert. Vielmehr haben sich vier Vollblut-Jazzer gefunden. Die sieben Songs stammen aus der Feder von Pianist Roman Babik und zeichnen sich durch die Verbindung von eingängigen, aber nicht trivialen osteuropäisch geprägten Melodien und komplexen Rhythmen aus, die dem durchgängigen Swing Feeling keineswegs im Wege stehen. Meist trägt Saxofonist Dimitrij Markitantov, gebürtiger Ukrainer, die Melodie, während Bassist Martin Gjakonovski, der Mazedonier in Köln, und Schlagzeuger und Perkussionist Bodek Janke, polnisch-russisch verwurzelt, ein Feuerwerk aus Rhythmus entfachen. Die beiden ergänzen sich exzellent, wobei Gjakonovskis Bass häufig die Rhythmus-Arbeit übernimmt und so Janke Freiräume für kreative perkussionistische Akzente gibt. Das funktioniert auch umgekehrt, etwa bei Gjakonovskis schönem Solo in „Session Tune“. Roman Babik spielt im Anschluss ein zunächst abstraktes Solo, das dann in melodische Improvisation und machtvolle Akkorde à la McCoy Tyner übergeht. Hier hat auch Markitantov Gelegenheit zu einem ausgedehnten Solo, das an Coltrane erinnert. Insgesamt ein sehr stimmiges Werk, bei dem nur die pop-lastige Vokaleinlage des Sängers Simon Binkenborn in „Isra“ als Fremdkörper erscheint. Die Musik der vier Virtuosen der Urban Wedding Band dürfte auch Jazz-Fans gefallen, die weltmusikalischen Ansätzen sonst eher distanziert gegenüberstehen.

Hans-Bernd Kittlaus                    24.05.15

Nicolas Simion Quartet: Crazy World

Nicolas Simion Quartet

Crazy World

7dreams 7D-122

Auf „Crazy World“ zelebriert der Kölner Saxofonist und Komponist Nicolas Simion seinen Jazz mit osteuropäischen Einflüssen in einer wohlklingenden Live-Aufnahme aus der Philharmonie Bacau, Rumänien, vom September 2013. Simion verbindet sieben Eigenkompositionen mit drei Werken der Urväter des rumänischen Jazz, Jancy Körössy, Richard Oschanitzky und Johnny Raducanu. Oschanitzkys „You Wouldn’t Believe“ ist beispielhaft für diese CD mit reichhaltiger melodischer Grundlage, die Simion schwermütig gefühlvoll am Saxofon interpretiert und Sorin Romanescu zu einem gelungenen Solo an der akustischen Gitarre inspiriert. In Simions „Gluma“ geht das Quartett dann energisch post-boppig zu Werke mit vorantreibender Rhythmusarbeit von Bassist Sebastien Boisseau und Schlagzeuger Ralf Gessler. Simion, der Komponist, erst kürzlich mit dem WDR Jazzpreis für Komposition ausgezeichnet, demonstriert seine Kreativität mit „Corn Y Salsa“, einer originellen Verbindung von osteuropäisch gefärbter Melodie mit Salsa Rhythmus. Erneut überzeugt die Rhythmusgruppe mit abwechslungsreichem Drive, über dem Simion und Romanescu solistische Feuerwerke entfachen. Spannend auch „Harmolodic Snowden“ mit Simion am Sopransaxofon auf den Spuren von Ornette Coleman und Boisseau mit ausgedehntem Solo à la Charlie Haden. Erneut legt Simion hier einen eindrucksvollen Beleg seiner Klasse als Komponist und Saxofonist vor.

Hans-Bernd Kittlaus               24.05.15

Fuhr Brothers: Reconstruction

The Fuhr Brothers

Reconstruction

Fuhrwerk FWM 014

In einer Zeit, in der es zum Standard geworden ist, dass Jazz-Musiker überwiegend ihre eigenen Kompositionen spielen, hatten die Brüder Wolfgang und Dietmar Fuhr die gute Idee, diese CD komplett den Kompositionen anderer zu widmen. Dazu wählten sie Werke der Väter des deutschen Jazz Albert Mangelsdorff, Wolfgang Dauner, Gerd Dudek und Manfred Schoof, der auch den Covertext verfasste. Das beginnt schwungvoll mit Mangelsdorffs „Hot Hut“ über Jens Düppes abwechslungsreich treibender Rhythmusarbeit mit gelungenen Solos von Norbert Scholly an der Gitarre und Wolfgang Fuhr am Saxofon. Schoofs „Horizon“ inspiriert Wolfgang Fuhr zu einem freieren Solo über Schollys schwebenden Gitarrentönen und Düppes kräftigen perkussiven Farben, bevor Dietmar Fuhr zu einem wohlgesetzten Basssolo ansetzt. Mangelsdorffs „Elongate“ swingt fröhlich, während die Musiker in Schoofs „Old Ballad“ reflektiert dem melodischen Gehalt nachspüren. Was allerdings das Volkslied „Mägdelein“ in dieser Sammlung zu suchen hat, erschließt sich weder thematisch noch musikalisch. Ansonsten haben die Brüder Fuhr und ihre Band ihr Konzept, das Schoof als kammermusikalisch bezeichnet, konsequent und ausgewogen umgesetzt. Diese Musik fordert und belohnt konzentriertes Zuhören.

Hans-Bernd Kittlaus            24.05.15

Martin Sasse Trio & Steve Grossman: Take the “D” Train

Martin Sasse Trio & Steve Grossman
Take the “D” Train
Nagel Heyer 2103

Dennis Frehse Trio feat. Martin Sasse
Rollin‘
78Label (zu beziehen über dennisfrehse.com@gmail.com)

Der Kölner Pianist Martin Sasse hat sich über die letzten 15 Jahre zum führenden deutschen Mainstream Pianisten entwickelt, was seine neuesten Einspielungen eindrucksvoll belegen. Ob als einfühlsamer Begleiter von Sängerinnen oder Bläsern, als Leiter von Klaviertrios oder als Pianist in anderen Formationen – Sasse ist Garant für Swing, Emotion und hohes spielerisches Niveau. Den Saxofonisten Steve Grossman hat Sasse mehrfach in den letzten Jahren als Gaststar eingeladen. Der in Europa lebende Amerikaner wurde um 1970 als Nachfolger von Wayne Shorter in Miles Davis‘ Band international bekannt. Trotz einer Reihe bemerkenswerter Aufnahmen hob seine Karriere krankheitsbedingt nie so ab, wie seine spielerischen Fähigkeiten es verdient hätten. Umso erfreulicher dass der Tenorsaxofonist sich hier in guter Verfassung zeigt. Sein meisterliches Balladenspiel prägt Ellington’s „In a Sentimental Mood“ ebenso wie seine Komposition „Nicolette“, wobei Sasse ihm kongenial die musikalischen Bälle zuspielt. Schlagzeuger Joost van Schaik treibt Benny Golson’s „Stablemates“ gekonnt etwas schneller als üblich voran. Grossman zelebriert die Ohrwurm-Melodie, bevor Sasse zu einer inspirierten Improvisation abhebt, die in Bassist Henning Gailings gelungenes kurzes Solo übergeht. Grossman zählt Ellington’s „Take the Coltrane“ schnell an und gibt Sasse so eine Vorlage für sein immens swingendes Solo, bevor Grossman sich selbst in einen mitreissenden Improvisationsfluss begibt. Die CD swingt mit Cannonball Adderley’s „Wabash“ zu Ende, erneut mit guten Solos von Grossman und Sasse.
„Rollin‘“ ist eine Trio-Aufnahme unter Leitung des gebürtigen Hannoveraner Schlagzeugers Dennis Frehse, der nach mehreren Ausbildungsjahren in USA inzwischen in Japan lebt und arbeitet, aktuell in der Band der japanischen Saxofon-legende Sadao Watanabe. Diese Aufnahme entstand in Tokio. Auch in dieser Umgebung zeigt Sasse seine Qualitäten als Swinger, etwa als er im ersten Titel „Deggen McBobben“ den Bouncing Beat von Bassist Kengo Nakamura elegant aufgreift. Der gefühlvolle Balladenspieler Sasse kommt in „You Taught My Heart To Sing“ zum Vorschein, angenehm zurückhaltend begleitet von Nakamura und Frehse, oder auch in Coltrane’s „Naima“. Das sympathisch altmodisch swingende „Rosetta“ steht am Ende dieser gelungenen Einspielung.

Hans-Bernd Kittlaus 25.04.15

Nicolas Simion Quintet: Tribute to Jancy

Nicolas Simion Quintet
Tribute to Jancy
7dreams 7D-125 (zu beziehen über 7dreams Records)

Der Pianist und Komponist Jancy Körössy gehört zu Nicolas Simion’s erklärten rumänischen musikalischen Vorbildern. Dessen Musik hat der seit langem in Köln lebende Saxofonist diese CD gewidmet, die wenige Monate nach Körössy’s Tod 2013 im Kulturzentrum Arcub in Bukarest in exzellenter Tonqualität aufgenommen wurde. Körössy‘s Melodien lassen die osteuropäischen Wurzeln spüren, doch die Musik ist vom Jazz amerikanischer Provinienz geprägt. Simion spielt ausschließlich Altsaxofon und fegt inspiriert durch schnelle Bebop-Titel wie „Rhythm Changes“ oder „Bebop“, schmiegt sich aber auch gefühlvoll in Balladen wie „Jancy’s Ballad“. Hier wie auch in „Jancy’s Tune“ ergänzt sich sein Sound wunderbar mit Ryan Carniaux’s exquisitem Trompetenklang, der souverän die ganze Spannbreite von metallisch knackig bis warm und weich einzusetzen weiß. Pianist Mircea Tiberian beweist sowohl als Begleiter der Bläser wie auch in seinen Solos, warum er als einer der besten rumänischen Musiker gilt. Meisterhaft begleitet er Simion im Duo „Blues for Wladimir“. Die Rhythm Section mit Bassist Chris Dahlgren und Schlagzeuger Drori Mondlak überzeugt mit engem Zusammenspiel. Mondlak beflügelt die schnellen Stücke wie „Bebop“ mit feurigem Swing, gekonnt gesetzten Akzenten und prägnanten Solos, kann sich aber auch sensibel zurücknehmen, wenn die Musik es erfordert. Brilliant und quirlig treibt seine Rhythmusarbeit „Of, Of“, den abschließenden Titel der CD mit weiteren gelungenen Solos aller Beteiligten. Bei dem Konzert wäre man gern dabei gewesen.

Hans-Bernd Kittlaus 25.04.15

Andreas Schickentanz: Axiom

Andreas Schickentanz
Axiom
JazzHausMusik JHM 230

Eine komplette CD oder ein Konzert solo zu bestreiten erfordert Mut, viel Phantasie und gute Kondition. Das gilt besonders für ein Blasinstrument wie die Posaune. Andreas Schickentanz erfüllt diese Voraussetzungen. Der Kölner Posaunist improvisiert auf „Axiom“ über elf Eigenkompositionen. Da drängt sich gleich der Vergleich mit dem legendären deutschen Posaunisten Albert Mangelsdorff auf, dessen Solo-Auftritte von seinem mehrstimmigen Spiel geprägt waren. Doch Schickentanz beschreitet andere Wege. Er nutzt Aufnahmetechnik, um mit sich selbst in Dialog zu treten, zum Beispiel sehr gelungen in „Pausenbrot“. Das gibt ihm mehr Möglichkeiten zur Melodieführung und abwechslungsreichen Gestaltung. Außerdem verwendet er elektronische Effekte wie in „Häutungen“ oder „Nachtblind“, um Bilder und Stimmungen zu erzeugen, exzessiv genutzt in „Kurzwellen“. Sein natürlicher Posaunenklang, warm und wohlgeformt und technisch ausgefeilt, kommt besonders schön im ironisch betitelten „Zugzwang I und II“ zur Wirkung. Die CD belohnt konzentrierte Zuhörer mit Ausflügen in spannende Klangwelten und Experimente – nicht als Hintergrundmusik geeignet.

Hans-Bernd Kittlaus 25.04.15