John Clayton (JC) gilt seit langem als einer der führenden Big Band Arrangeure im Jazz und hat mit einem Who is Who von Stars gearbeitet. In Deutschland trat er mehrfach mit der WDR Big Band auf. Außerdem ist er einer der besten Straight Ahead Bassisten, bekannt als Mitglied des Monty Alexander Trios der 1970er Jahre (mit Drummer Jeff Hamilton), als Bassist des Count Basie Orchestra, und Ko-Leiter des Clayton Hamilton Jazz Orchestra (mit Bruder Jeff Clayton und Jeff Hamilton). Der 65-jährige war der meistbeschäftigte Musiker auf der Jazz Cruise, die im Februar 2018 eine Woche lang auf der Celebrity Summit im Golf von Mexiko stattfand. Er spielte nicht nur mit den Clayton Brothers, dem Hardbop Quintett, das er seit 30 Jahren gemeinsam mit seinem Bruder Jeff Clayton führt, sondern war auch Leiter der All Star Big Band, mit der er probenintensive Konzerte aufführte. Trotzdem nahm er sich die Zeit für ein Gespräch mit JP-Mitarbeiter Hans-Bernd Kittlaus (HBK).
HBK: John, Du hast gestern Abend mit der Big Band ein Tribute an Gerald Wilson gespielt (der brilliante Arrangeur starb 2014 mit 96 Jahren). Wenn ich sehe, wie Du Dich als Dirigent vor der Big Band bewegst, erinnert mich das auch stark an Gerald Wilson. Welche Bedeutung hatte er für Dich?
JC: Als in ich den 1960er Jahren in Los Angeles aufwuchs, führte Gerald die wichtigste lokale Big Band. Deren Sound hat mein Verständnis damals geprägt, wie eine Jazz Big Band zu klingen hatte. Ich habe seine Arrangements dann später sehr intensiv studiert, aber hatte nie formalen Unterricht bei ihm. Wenn wir uns in Los Angeles getroffen haben, erzählte er Stories aus den alten Zeiten. Was zum Beispiel kaum einer weiß, ist, dass Gerald in den 1950er und 1960er Jahren der wichtigste externe Arrangeur für Ellington war, an den Ellington oft Aufträge vergab, wenn er und Billy Strayhorn zu viel Arbeit hatten.
HBK: Gerald hatte mehrfach Kompositionsaufträge vom Monterey Jazz Festival. Letzten September hattest Du so einen und hast Deine Suite „Stories of a Groove“ in Monterey mit dem Clayton Hamilton Jazz Orchestra und dem Gerald Clayton Trio aufgeführt. Ich war leider nicht dabei, aber habe sehr begeisterte Berichte gelesen. Das war eine ziemlich politische Arbeit?
JC: Ja, das kann man sagen. Obwohl ich es lieber sozialkritisch nenne. Der Leiter des Monterey Jazz Festivals, Tim Jackson, war mit dem Auftrag auf mich zu gekommen. Wir unterhielten uns über die aktuelle Lage in den USA, und ich sprach von der Wut, die ich empfand und noch immer empfinde. Überraschenderweise forderte er mich auf, diese Gefühle in der Suite zum Ausdruck zu bringen. Das habe ich dann auch gemacht. Ich habe nie zuvor so viel Arbeit in eine 40-minütige Suite gesteckt. Das Publikum scheint die Botschaft verstanden zu haben. Ich wollte ursprünglich einen der Sätze mit „Anger“ (Wut) betiteln, aber habe es schließlich anders genannt.
HBK: Als Obama Präsident wurde, gab es so viel Hoffnung. Er konnte dann aus verschiedenen Gründen nicht alle Erwartungen erfüllen. Und dann kam es zu diesem Rückschlag mit der Wahl Trumps.
JC: Ich kann verstehen, dass Du das so siehst. Aber Obama hat sehr viel erreicht. Die Entwicklung der letzten 18 Monate hat nun diese Wut bei vielen Amerikanern hervorgerufen. Was da fortwährend passiert, macht auch mich wütend. Ich fühle mich verletzt in meiner Ehre als amerikanischer Bürger. Und ich kann viele meiner Landsleute nicht mehr verstehen. Wie kann ein Jazz-Musiker Trump-Anhänger sein? Aber es gibt welche, auch hier auf dem Schiff. Und wie kann eine Frau Trump-Anhängerin sein? All diese Gefühle sind in „Stories of a Groove“ eingeflossen, aber auch die Hoffnung, dass wir diese Phase überwinden werden.
HBK: Wirst Du die Suite als CD veröffentlichen?
JC: Wahrscheinlich eher nicht. Das ist heute kaum zu finanzieren. Und planerisch extrem schwierig, denn dazu müssten wir alle Beteiligten für zwei oder drei Aufnahmetage zusammenbringen. Angesichts der Kalender von Jeff Hamilton, meinem Bruder Jeff, meinem Sohn Gerald und dem Orchester habe ich wenig Hoffnung.
HBK: Diese Spaltung der amerikanischen Gesellschaft ist ja schon länger zu beobachten, nicht erst seit der Wahl Trumps. Und sie hat offenbar auch ein rassen-bezogenes Element. Ich habe seit einigen Jahren auch im Jazz-Bereich den Eindruck, dass das Thema „Rasse“ wieder eine stärkere Rolle spielt, bis hin zu Segregation.
JC: Wenn ich meine Studenten beobachte, spielt Rasse überhaupt keine Rolle. Die wollen einfach von den Besten lernen, ob das jetzt Benny Green oder George Cables ist. Historisch haben Jazz-Musiker allerdings schon Position zur Rassenfrage bezogen. Das war in den 1960er Jahren auch notwendig. Frank Foster hatte mal eine Band, die er „The Loud Minority“ nannte. Was meinst Du aktuell mit Segregation?
HBK: Gestern Abend spielte Nicholas Payton hier auf dem Schiff mit Herlin Riley. Der veröffentlichte vor einigen Jahren sehr eindeutige Aussagen in Richtung Segregation.
JC: Ja, das musste man wohl so interpretieren. Es gibt natürlich immer Leute mit merkwürdigen Ideen. Aber Nicholas Payton ist nicht repräsentativ für die amerikanische Jazz Community.
HBK: Du hast Dich immer sehr stark als Lehrer engagiert, über 20 Jahre an der USC oder in vielen Workshops. Es ist großartig, wie gut viele junge Musiker sind, sei es in USA oder auch in Europa. Leider fehlt es an Auftrittsmöglichkeiten. Wenn ich die Situation zum Beispiel in Los Angeles richtig sehe, gibt es kaum noch einen wirklichen Jazz Club.
JC: Die Situation für Jazz war noch nie rosig. Ja, früher gab es mehr Clubs. Aber die Dinge verändern sich. Heute gibt es alternative Wege. Viele Museen und andere Kultureinrichtungen veranstalten Jazz-Reihen. Es gibt vielfältige Quellen für Fördergelder. Und wenn das nicht reicht, müssen die Musiker eben selbst als Veranstalter aktiv werden. Das predige ich auch meinen Studenten immer.
HBK: Die junge Sängerin Veronica Swift hat in den letzten Tagen hier große Begeisterung auf dem Schiff ausgelöst. Was hältst Du von ihr?
JC: Ja, Veronica ist ein großes Talent. Man hört ihr natürlich ihre Jugend an, aber das ist auch gut so. Und mit Emmet Cohen’s Trio hat sie eine gute Band.
HBK: Bei einem ihrer Auftritte erzählte mir Benny Green, dass er nach seiner Zeit mit Betty Carter bis heute viele Anfragen hatte, Sängerinnen zu begleiten, die er immer abgelehnt habe. Er wolle nicht mit Diven arbeiten, und Sängerinnen wären zu Beginn meist sehr nett, aber wenn man dann zuammen auf der Bühne stehe, käme die Diva raus. Veronica sei die erste, bei der er ein gutes Gefühl habe. Deshalb habe er auch auf ihrer neuen CD mitgewirkt, die in Kürze erscheint. Du, John, hast ja unglaublich viel mit Sängerinnen gearbeitet. Wie sind Deine Erfahrungen?
JC: Ich fürchte, Benny hat Recht (lacht). Aber es gab und gibt auch Ausnahmen. Zum Beispiel Diana Krall, die ist nicht so, Nancy Wilson nicht, und Sarah Vaughan war es auch nicht. Wenn ich an die ältere Garde von Sängerinnen denke, so hatten die es ja auch nicht einfach, sich zu behaupten. Da musste man schon tough sein. Ich habe mal einen Auftrag gehabt, eine Aufnahme von Carmen McRae mit der WDR Big Band zu arrangieren. Zur Vorbereitung besuchte ich Carmen bei ihr zu Hause in LA. Vor ihrem Haus stand ein Auto mit dem Kennzeichen „KMBA“. Als sie mir aufmachte, fragte ich sie, ob das ihr Auto sei und ob die Buchstaben das bedeuten sollten, was ich vermutete. Sie sagte: „Da kannst Du drauf wetten“ (KMBA = Kiss My Black Ass).
HBK: Du hast ja oft mit der WDR Big Band gearbeitet. Aktuell sind in Köln Bob Mintzer als Chefdirigent und Vince Mendoza als Composer in Residence verpflichtet. Ich schätze beide sehr, auch wenn ich Vince‘ Arrangements auf Gregory Porter’s Nat King Cole CD für misslungen halte.
JC: Ja, die CD habe ich gehört. Ich glaube, das hätte ich anders arrangiert. Aber man weiß nicht, welche Rahmenbedingungen es gab. Ich erinnere mich an eine Produktion vor vielen Jahren. Damals bat mich Tommy LiPuma, die Arrangements für eine Big Band CD mit McCoy Tyner zu schreiben. Ich war ganz begeistert, aber dann kam der Haken. Es sollten nur Burt Bacharach Stücke sein. McCoy hatte zu diesen Stücken überhaupt keine Beziehung. Mit der CD bin ich bis heute unglücklich.
HBK: Du planst, im Herbst das Clayton Hamilton Jazz Orchestra für eine Tournee mit Cécile McLorin Salvent nach Europa zu bringen. Cécile hat ja eine sehr theater-orientierte Art des Vortrags. Wie willst Du das mit der Big Band zusammenbringen?
JC: Ja, genau. Sie interpretiert Songs gern dramatisch. Das betrachte ich als eine spannende Herausforderung. Darüber tausche ich gerade Emails mit Cécile aus. Ich möchte mit meinen Arrangements diese Dramaturgie aufgreifen und darüber eine neue Seite der Band zeigen.
HBK: Ich freue mich darauf. Werdet Ihr das auch aufnehmen?
JC: Ich hoffe es. Außerdem reden wir gerade über eine neue CD der Clayton Brothers.
HBK: Macht doch endlich eine Live CD! Die Band hat eine so mitreißende Live Energie.
JC: Ja, das sollten wir eigentlich machen. Aber die Kosten für eine Live-Aufnahme sind deutlich höher als im Studio. Ich soll im New Yorker Jazz Standard in einigen Monaten eine zweiwöchige Residency organisieren und spielen. Da werde ich in verschiedenen Besetzungen auftreten. Ich möchte zum Beispiel Diana Krall für ein paar Tage nur als Pianistin dabei haben. Die Clayton Brothers werden auch einige Tage bestreiten. Das könnte eine Gelegenheit für eine Live-Aufnahme werden.
HBK: Du bist jetzt 65. Das wird ja gemeinhin als Rentenalter betrachtet. Was sind Deine Pläne?
JC (lacht): Rente. Nein, sicher nicht. Mir macht das, was ich mache, so viel Freude. Ich wüsste nicht, wie ich meine Zeit besser verbringen könnte. Ich mache weiter, solange es geht.
HBK: Das freut mich. Ich wünsche Dir, dass Du mindestens so lange produktiv sein kannst, wie Gerald Wilson es war. Und mir wünsche ich, dass ich bis zu Deiner letzten Note zuhören kann.
JC: Damit bin ich sehr einverstanden.
Hans-Bernd Kittlaus
Foto: Hans Bernd Kittlaus
www.johnclaytonjazz.com
Aktuelle CDs:
The Clayton Brothers: Soul Brothers, ArtistShare
Clayton Hamilton Jazz Orchestra: The L.A. Treasures Project, Capri
John Clayton + Hank Jones: The Negro Spirituals Dialogue, ArtistShare
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