Alle Beiträge von Hans-Bernd Kittlaus

Nicolas Simion Group: Tarantella Facile

Nicolas Simion Group
Tarantella Facile
7dreams 7D-123 (zu beziehen unter 7dreams Records)

Wenn es noch eine Rechtfertigung gebraucht hätte, den Kölner Nicolas Simion im Januar 2015 mit dem WDR Jazzpreis für Komposition auszuzeichnen, liefern sie die zehn Kompositionen dieser CD. Da gibt es das volksmusik-inspirierte Titelstück, die Country & Western-Anklänge von „Fancy Lady“, das introspektive „Flying to Jerusalem“ oder den melancholischen „Late Night Blues“. Bei aller Unterschiedlichkeit zeichnen sich seine Kompositionen durch singbare, aber nicht triviale Melodien aus, die ihm selbst wie auch seiner exzellent und sehr international besetzten Band wunderbares Material zur Interpretation und Improvisation bieten. Beim ruhigen „Remembrance“ zelebrieren Norbert Scholly an der akustischen Gitarre und Bassist Chris Dahlgren die Melodie ebenso wie Simion selbst an der Klarinette. In „Unknown Planet“ improvisieren Simion am Saxofon und der brilliante amerikanisch-Kölner Trompeter Ryan Carniaux miteinander über dem dramatischen Schlagzeugspiel von Alan Jones. Und in „Transsylvanian Monk“ wandelt der gebürtige Grieche Antonis Anissegos gekonnt auf Monks Spuren und Simion und Carniaux demonstrieren ihre Vertrautheit mit dem alten Meister. Bei aller musikalischen Verwurzelung Simions in seiner rumänischen Heimat ist dies keine Weltmusik, sondern bester moderner Jazz mit persönlichem Touch.

Hans-Bernd Kittlaus 15.03.15

einem.art: Lamara

einem.art
Lamara
Double Moon DMCHR71153

Sie sind ein ungleiches Gespann – auf der einen Seite der extrovertierte Frontmann Max Von Einem, seit zwei Jahren Posaunist in Stefan Raabs Fernseh-Studio-Band, auf der anderen der introvertierte Pianist Lucas Leidinger, der für nahezu alle Kompositionen dieser CD (teil-) verantwortlich zeichnet. Gemeinsam mit Bassist Juan Camilo Villa und Schlagzeuger Rodrigo Villalon bilden sie schon seit 2011 mit Erfolg die Band einem.art. „Lamara“ besticht durch einige sehr gelungene Kompositionen, etwa „Interruptica“ mit mitreißendem Rhythmus, einer im Ohr bleibenden Melodie und exzellentem Solo von Leidinger, oder die ruhigen impressionistischen Songs „Like Waterfalls“, „Pure“ und „Waltz for Gregor“. „So What? – What!“ oder „Killerberg“ sprechen hingegen mit ihren elektronischen Sound Gimmicks eher die Spaßfraktion an und sind als Party-Musik verwendbar. Mit „Boilers“ hat sich Max von Einem ein funkiges Solo-Feature geschrieben, das ihm Gelegenheit zu einem ausgedehnten Alleingang gibt, bevor die Rhythm Section einen in die Beine gehenden Groove darunter legt und Leidinger zu einem fulminanten E-Piano-Lauf ansetzt. In dieser Band steckt viel Potential, aber der stilistische Mix ist auf dieser CD etwas arg breit geraten.

Hans-Bernd Kittlaus 15.03.15

Evgeny Ring Quartet: Mesokosmos

Evgeny Ring Quartet

Mesokosmos

Unit Records UTR 4589

Saxofonist Evgeny Ring konnte schon mit seiner Debut CD „Ya Tashus“ (Double Moon Records) im Jahr 2011 überzeugen. Jetzt legt er mit „Mesokosmos“ seine zweite CD vor, die der gebürtige Russe mit seinem Leipziger Quartett mit Gastgitarrist Bastian Ruppert aufgenommen hat. Auch wenn Ring der Namensgeber der Band ist, stellt er sich nicht permanent in den solistischen Mittelpunkt, sondern lässt den übrigen Musikern viel Raum zu solistischer Entfaltung und gleichberechtigtem Ensemble-Spiel, den Pianist Sascha Stiehler, Bassist Philipp Rohmer und Schlagzeuger Dominique Ehlert beherzt nutzen, so etwa in „the ninth wave“. Trotzdem zeigt Ring immer wieder, dass er als Solist etwas zu sagen hat, wie in „Oasis“ oder mit seinem hymnischen Spiel in „secret place“. Die neun Eigenkompositionen demonstrieren die Spannbreite des Komponisten Ring und seine Freude am Spiel mit Klangfarben, die in der farbenfrohen Cover-Gestaltung der CD mit Witz aufgegriffen wird. Mesokosmos bezeichnet in der Philosophie den Bereich der vom Menschen anschaulich erfassbaren Objekte zwischen Mikro- und Makrokosmos. Der Titelsong am Ende der CD spiegelt eine solche reflektierte philosophische Betrachtung der Welt mit hymnischen Klängen aus Rings Sopransaxofon wider und endet abrupt, als wolle die Band sagen „Ende offen“. Evgeny Ring ist in der Zwischenzeit von Leipzig nach Köln umgezogen. Man darf gespannt sein, welchen Einfluss die anregende Kölner Jazz-Umgebung auf die Weiterentwicklung seiner Musik haben wird.

Hans-Bernd Kittlaus 01.03.15

Omer Klein: Fearless Friday

Omer Klein

Fearless Friday

Neuklang NCD 4113

Der Pianist Omer Klein zählt zu den interessantesten Stimmen des zeitgenössischen Jazz-Klaviers. Der gebürtige Israeli lebt nach einigen Jahren in New York inzwischen in Düsseldorf, ist aber weiterhin sehr international tätig. Mit seinem Trio hatte Klein zuvor schon drei vielbeachtete CDs veröffentlicht, dies ist nun die erste seit der jüngsten Umbesetzung. Der junge Schlagzeuger Amir Bressler fügt sich nahtlos ein, und mit Bassist Haggai Cohen-Milo hat Klein einen langjährigen Freund und Weggefährten an seiner Seite. Die CD enthält 10 Titel, außer Ellington’s „Azure“ alles Eigenkompositionen Kleins, die seine kompositorische Spannbreite zeigen. Dabei kommt seine in der jüdischen Tradition wurzelnde Fähigkeit zur Geltung, wunderschöne in Erinnerung bleibende Melodien zu erschaffen wie etwa „I guess that’s why they call it falling“ oder „Niggun“. Auch das Klangbild des Nahen Ostens wird punktuell immer wieder hörbar, doch dies ist keine Weltmusik, sondern konsequenter Modern Jazz auf der Höhe der Zeit. Auch rhythmisch zeigt das Trio großen Abwechslungsreichtum, vom vorwärtstreibenden „Shwaye Shwaye“ bis zum stimmungsvoll introvertiert beginnenden „Dimensions“, das sich dramatisch steigert. Die CD belegt eindrucksvoll, warum deutsche Konzertveranstalter dieses Trio erfreulicherweise immer häufiger engagieren.

Hans-Bernd Kittlaus 01.03.15

Ryan Carniaux: Never leave your baggage unattended

Ryan Carniaux

Never leave your baggage unattended

Hipjazz 010

Ryan Carniaux gehört inzwischen zu den herausragenden etablierten Trompetern in Deutschland, der ebenso erfolgreich in eigenen Bands agiert wie mit Nicolas Simion, Claudius Valk oder Wolfgang Lackerschmid, der auf der vorliegenden CD als Mitproduzent und Gastsolist am Vibraphon dabei ist. Carniaux demonstriert in den neun Titeln der CD, darunter sechs Eigenkompositionen, seine Reife als Musiker und Komponist. Er spielt hier nur Flügelhorn mit warmem Sound, der sich hervorragend ergänzt mit dem forschenden Altsaxofon von Plume, der wie Carniaux aus New York City stammt. Der Titelsong der CD ist ein gutes Beispiel für das harmonische Zusammenspiel der beiden, zu dem Pianist Mike Roelofs ein stimmiges Solo beiträgt. Roelofs‘ Komposition „One Sahel Night“ bewegt sich nach Westafrika mit schönen Basstönen von Ahmed Eid, stimmungsvollen Marimba-Klängen von Lackerschmid, der Percussion von Rodrigo Villalon und dem weltmusikalisch geprägten Gastauftritt von Sänger Njamy Sitson. „Miss Serious“ gibt Schlagzeuger Samuel Dühsler Gelegenheit zu sehr vorwärts treibender Beckenarbeit und abwechslungsreicher Akzentsetzung. Insgesamt ein hörenswertes Album dieser ausgewogenen europäisch-amerikanischen Band, zu dem Jazz Podium Fotograf Gerhard Richter originelle Fotos passend zum CD-Titel beigesteuert hat.

Hans-Bernd Kittlaus 01.03.15

Marshall Gilkes & WDR Big Band: Köln

Marshall Gilkes + WDR Big Band

Köln

Alternate Side Records ASR 008

Der New Yorker Posaunist Marshall Gilkes spielt nicht nur seit vielen Jahren im Maria Schneider Orchestra, sondern gehörte auch der WDR Big Band vier Jahre von 2009 bis 2013 an. Auf eigenen Wunsch beendete er seine Arbeit in Köln, nicht zuletzt um mehr Zeit für seine New Yorker Familie zu haben. Zum Abschied spielte er die vorliegende CD mit der WDR Big Band im Januar 2014 ein und betitelte sie schlicht mit „Köln“. Sie beginnt mit dem Standard „My Shining Hour“ von Harold Arlen und Johnny Mercer, den Gilkes zu einem gelungenen Solo nutzt. Schon hier zeigen sich sein weicher biegsamer Ton und melodischer Einfallsreichtum. Letzterer prägt auch die sieben Eigenkompositionen, die den Rest der CD ausmachen. Darin gibt er seinen (ehemaligen) Band-Kollegen viel solistischen Raum, er selbst tritt nur noch zweimal solistisch auf. Posaunist Ludwig Nuss und Altsaxofonist Johan Hörlen klingen inspiriert in „4711 Special“, die Saxofonisten Karolina Strassmayer und Paul Heller prägen mit ihren expressiven Solos das rhythmus-betonte „End in Sight“. Das beeindruckende solistische Potential der Big Band wird auch deutlich, wenn Pianist Frank Chastenier in „Mary Louise“ gefühlvoll in die Tasten greift, oder Bassist John Goldsby in „Plant Based“ als Melodiker agiert. Der New Yorker Gastsolist Michael Rodriguez erweist sich als Gilkes‘ Bruder im musikalische Geiste, stellt er doch seine Beiträge in „Plant Based“ und „Mary Louise“ ganz in den Dienst von Melodie und orchestralem Klang. Marshall Gilkes hat seine ältere Komposition „Edenderry“ langsam und getragen arrangiert, was der Schönheit seines Posaunenklangs umso mehr Aufmerksamkeit verschafft. Den Abschluss der CD gestaltet Gilkes wiederum als Solist mit „Downtime“ und demonstriert nachdrücklich, welch großen Verlust sein Weggang für die WDR Big Band bedeutet.

Hans-Bernd Kittlaus

Joscha Oetz: Perfektomat

Joscha Oetz

Perfektomat

Klaeng 007

Der Kölner Bassist und Komponist Joscha Oetz ist nach langjährigen Aufenthalten in Kalifornien und Peru wieder nach Köln zurückgekehrt. Die vorliegende CD reflektiert vor allem seine peruanischen Erfahrungen mit einer kraftvollen rhythmusbetonten Musik in acht Eigenkompositionen. Dazu hat Oetz die in Deutschland lebende Peruanerin Laura Robles am Cajon und den mit allen weltmusikalischen Wassern bestens vertrauten Bodek Janke am Schlagzeug in seine Band gebeten. Gemeinsam schaffen die drei ein Feuerwerk an faszinierenden Rhythmen, die man in Deutschland kaum kennt. In „Perfect Grey“ ist das der Festejo-Rhythmus, zu dem Johannes Lauer die Quijada bedient, die aus einem Eselsgebiss besteht. In „Caral“ spielt Simon Nabatov, sonst eher als Avantgarde-Pianist bekannt, ein ausdrucksstarkes Solo über dem trägen Lando-Rhythmus. Hier wie auch in einigen weiteren Stücken bringt Saxofonist Niels Klein eine willkommene Coolness in die heiße Musik. „Eastern Presence“ ist schließlich eine Verbeugung vor dem gebürtigen Russen Nabatov und vor Janke mit polnischen und russischen Vorfahren, die beide eine verblüffende Affinität zu den peruanischen Rhythmen demonstrieren. Bei allem weltmusikalischen Hintergrund bietet diese CD mitreißenden „Real Jazz“ auf höchstem Niveau und ist ein Top-Kandidat für die üblichen Jahresbestenlisten.

Johannes Ludwig: Airbourne

Johannes Ludwig

Airbourne

FLOATmusic FL002

Das neue Label FLOATmusic wird vom Nürnberger Saxofonisten Johannes Ludwig und seinem Kölner Kollegen Jens Böckamp betrieben und legt mit Ludwig’s „Airbourne“ seine zweite Veröffentlichung vor. Die neun Kompositionen des Band Leaders bieten ein abwechslungsreiches Ausgangsmaterial, das das Quintett inspiriert interpretiert. Pianist Andreas Feith überzeugt mit intelligenten spannungsgeladenen Solos, etwa in „Vamp 24-12-11“, in denen er seine gute Technik musikdienlich ausspielt. Der Titelsong „Airbourne“ gibt Johannes Ludwig Gelegenheit zu einem getragen-gefühlvollen Sopransaxofonsolo, bevor Bassist Max Leiß melodisch improvisiert, dezent unterstützt von Feith und dem variablen Schlagzeuger Julian Fau. Das Quintett wird komplettiert vom zweiten Saxofonisten Alexander Bühl, den Ludwig nicht für traditionelle Tenor Sax Battles, sondern als zweite Bläserstimme in seinen ausgefeilten Arrangements einsetzt, so im raffinierten „Dedicated to B.“. Wenn es einen Kritikpunkt gibt, dann den, dass die CD insgesamt etwas zu kontrolliert, zu perfekt ausgewogen in Tempi und Stimmungen wirkt. Doch das ist eine Petitesse zu einem hörenswerten Album.

KOI Trio: Light Blue

KOI Trio feat. Sebastian Gille/Rainer Böhm

Light Blue

FLOATmusic FL003

In der deutschen Jazz-Szene erfordert es einigen Mut, eine komplette CD einem amerikanischen Komponisten zu widmen, ist doch die Norm eher die extensive Einspielung von Eigenkompositionen. Nun spielt das Kölner KOI Trio Monk – 8x Monk, nur Monk. Und die Auseinandersetzung mit dem exzentrischen New Yorker Pianisten und Komponisten, der schon 1982 starb, gelingt. Das liegt nicht zuletzt an den beiden Gästen, die recht viel Raum bekommen. Pianist Rainer Böhm spielt überhaupt nicht Monk-ish eckig, aber seine melodisch orientierte Spielweise passt bestens zu KOI Gitarrist Riaz Khabipour, und gemeinsam bieten sie einen spannenden Kontrast zu Sebastian Gilles wunderbar verqueren Klängen auf dem Tenorsaxofon. Gute Beispiele dafür sind „Pannonica“ und das schnelle „Bright Mississippi“, in dem KOI Bassist Matthias Akeo Nowak mit mitreißendem Walking Bass die Band treibt und Schlagzeuger Oliver Rehmann mit angenehmer Zurückhaltung seinen Ben Riley (Monk’s langjähriger Schlagzeuger) abgibt. Darüber bläst Gille mit seinem so ungemein eindringlichen Sound, dessen Individualität noch verstärkt wird durch einen eigentlich unzeitgemäßen Hall, mit dem Toningenieur Clemens Orth das Saxofon klingen lässt, als sei Monk 1957 bei der Aufnahme persönlich dabei gewesen. Doch die Aufnahme stammt tatsächlich aus dem Jahr 2013 und zeigt, wie lohnend ein frischer Blick auf diese vermeintlich ausgelutschten Standards sein kann. Monk hätte sich vermutlich gefreut.

Berliner Jazz Fest 2014

50 Jahre zwischen Rückblick und Ausblick

In den drei Jahren seiner künstlerischen Leitung hat Bert Noglik das Berliner Jazzfest zu neuer Relevanz geführt und diese Entwicklung mit dem diesjährigen 50-Jahr-Festival gekrönt. Umso stärker wird sein selbst gewünschter Abschied bedauert. Trotz einer gewissen Überladung mit historischen Anknüpfungen aller Art – 50 Jahre Berliner Jazzfest (vormals Jazz Tage), 50 Jahre Besuch von Martin Luther King in Berlin, 50 Jahre Tod von Eric Dolphy in Berlin, 25 Jahre Mauerfall – gelang Noglik ein spannendes Programm, das neben einigen Höhepunkten auch einen kleinen Skandal bot. Die wahrlich nicht naheliegende Wahl des New Yorker Avantgarde Gitarristen Elliott Sharp für ein Tribute an Martin Luther King resultierte in einem Konzert, das Nogliks Mut mit Erfolg belohnte. Sharp besetzte seine Band clever mit schwarzen Musikern wie den ausdrucksstarken Sängern Tracie Morris und Eric Mingus und dem Baritonsaxofonisten Alex Harding und choreografierte ein blues-getränktes Programm, das nicht im historischen Bezug erstarrte. Das Monk’n’Roll-Projekt des italienischen Saxofonisten Francesco Bearzatti konnte man nicht unbedingt in die Kategorie „künstlerisch wertvoll“ einordnen, aber es unterhielt das Publikum bestens mit der typisch italienischen Spielart von anarchischem Humor, den besonders Trompeter Giovanni Falzone verkörperte. Für den erkrankten Benny Golson sprang kurzfristig Archie Shepp ein. Sein Quartett-Konzert lief eher routiniert als inspiriert ab, aber der Spirit erfüllte dann am nächsten Tag die Gedächtniskirche umso stärker im Duett mit Jasper van’t Hof an der Kirchenorgel. Shepp ließ sein Tenorsaxofon heulen und kreischen, Blues- und Gospel-Tradition mischten sich mit van’t Hof’s virtuosen majestätischen Orgelklängen. Soweto Kinch bot mit seinem blutjungen Trio ein zweigeteiltes Konzert. Als Saxofonist spielte er klassischen Jazz auf hohem Niveau, als Rapper bot er pop-orientiertes Entertainment. Beide Teile waren gelungen, aber eine Integration fand nicht statt. Zur Geschichte der Berliner Jazz Tage gehört die unrühmliche Phase in den 1960er und 70er Jahren, als jeder Sänger und jede Sängerin in Berlin ausgebuht und –gepfiffen wurde. Daran fühlte sich mancher Zuschauer beim Konzert von Kurt Elling mit der WDR Big Band erinnert, bei dem nach vielen Jahren erstmals wieder Buhrufe erklungen. Doch dieses Mal lag die Motivation nicht in einer grundsätzlichen Abneigung gegen Jazz-Gesang, sondern der Grund war die verfehlte Konzeption des Konzerts. Es stand unter dem Thema „Freedom Songs“ in Erinnerung an den Mauerfall. Dazu hatte der neue Chefdirigent der WDR Big Band, Rich deRosa, ein Programm zusammengestellt und arrangiert. Als Grundlage nahm er Pop-Songs der Zeit um 1989, die sich leider wenig bis gar nicht für Jazz-Darbietungen eigneten und durch seine konventionellen Arrangements nicht besser wurden. So gab es die ersten Buh-Rufe bei „Wind of Change“, der Wende-Hymne der deutschen Pop-Gruppe Scorpions. Vollends aus dem Ruder lief das Konzert bei deRosa’s „Freedom Suite“, in der er Elling über Minuten Sätze berühmter Männer rezitieren ließ von Gandhi über Kennedy und Mandela bis zu Ronald Reagan (sic), aber ohne einen Deutschen. Dahinter spielte die Band unauffällige Hintergrundmusik. Das zeigte nicht nur eine völlige Ignoranz gegenüber deutschen Befindlichkeiten, sondern war auch handwerklich schlecht gemacht. Ein weiterer handwerklicher Fehler war die Wahl von „Come Sunday“ am Ende des Konzerts. Kurt Elling hat viele Qualitäten, aber er ist mit katholischer Kirchenmusik aufgewachsen, nicht mit Gospel. Dementsprechend eignete sich der Song überhaupt nicht für ihn. Die Buhrufe waren also durchaus berechtigt. Elling verstand die Situation nicht, aber ging souverän mit ihr um und sagte, auch in dieser Publikumsreaktion zeige sich Freiheit. Als Beobachter fragte man sich, warum niemand deRosa gebremst hatte, der in Texas lehrt und gerade erst in Köln angefangen hat. Kein guter Start für ihn, insbesondere da das Konzert von den ARD-Rundfunkanstalten bundesweit live übertragen wurde. Elling und die Band konnten einem leid tun. In zwei Konzerten wurde Eric Dolphy gefeiert. Die Pianisten Aki Takase und Alexander von Schlippenbach führten Dolphy’s Musik in eigenen Arrangements mit einer exzellenten Band auf, in der Rudi Mahall und Louis Sclavis an den Bassklarinetten herausragten. Silke Eberhard führte mit ihrem Bläsersextett Potsa Lotsa, das nur von einem DJ begleitet wurde, das neu entdeckte unvollendete Dolphy-Werk „Love Suite“ auf. Solange die Band mit einigem Humor Dolphy-Kompositionen interpretierte, stimmte die Balance aus melodischem Gehalt und Abstraktion. Eberhards Eigenkompositionen hingegen gerieten etwas akademisch. Noglik hatte eine Reihe jüngerer Bands ins Programm genommen, deren Musik sich mehr oder minder stark in Pop- und Rock-Richtung orientierte. Ausnahme war das Eva Klesse Quartett, das bei ihrem Auftritt auf der Hauptbühne mit ihrem frischen Modern Jazz über sich hinauswuchs und Nogliks Mut belohnte. Vor allem Pianist Philip Frischkorn und Altsaxofonist Evgeny Ring fielen positiv auf. Der Free Jazz war durch zwei Bands von Mats Gustafsson vertreten. Mit seinem langjährigen Trio The Thing bewegte sich der Saxofonist auf Peter Brötzmanns Spuren mit berserkerhaften Ausbrüchen und dann wieder geradezu zarten Passagen. Sein 28-köpfiges Fire! Orchestra überwältigte mit enormer Intensität. Zu einem Highlight wurde der Auftritt des Schlagzeugaltmeisters Daniel Humair mit seinem Quartet mit den französischen Jungstars Emile Parisien am Saxofon und Vincent Peirani am Akkordeon, die ihre großen solistischen Freiräume kreativ nutzten. Jason Moran überzeugte mit seinem Bandwagon Trio mal ganz ohne Elektronik und Samples. Vor allem seine der Stadt Chicago gewidmeten Kompositionen begeisterten das Publikum. Seine anschließende Fats Waller Dance Party hingegen wirkte wie der krampfhafte Versuch, die alten Fats Waller Hits einem jungen Pop-Publikum schmackhaft zu machen, indem Waller’s Kompositionen bis zur Unkenntlichkeit kastriert wurden. Dabei schreckte Moran nicht vor dem Aufsetzen einer überdimensionierten Fats Waller-Maske zurück. Die Musik wirkte live zwar lebendiger als auf der misslungenen CD, aber das rettete das Projekt auch nicht. Zum Abschluss des Festivals spielte die amerikanische Band Mostly Other People Do The Killing ihr Red Top Programm, das auf unterhaltsame Weise traditionellen Jazz mit Avantgarde-Elementen vermischte. Dabei schlug sich der deutsche Trompeter Thomas Heberer als Ersatz für den fehlenden Peter Evans gut. Nach diesen vier abwechslungsreichen Tagen darf man gespannt sein, welche neuen Akzente der Engländer Richard Williams als neuer künstlerischer Leiter im nächsten Jahr (5.-8.11.15) setzen wird.